Zusammenwachsen oder zusammen wachsen

Mein Ehemann Sven setzte sich mit dem Wachstum unserer Ehe auseinander und teilt seine Gedanken an dieser Stelle mit euch.

Wachstumspotential

Zusammenwachsen

Dieses Jahr sind Conny und ich 17 Jahre verheiratet und wenn ich so auf die letzten Jahre zurückschaue, dann wurde unsere Beziehung von zwei Begriffen geprägt: «zusammenwachsen» oder «zusammen wachsen».
Schon ganz früh in unserer Beziehung wuchs der Wunsch, zukünftig zusammen in einer Berufung zu stehen – gemeinsam eine Stelle zu besetzen und unsere Begabungen einzusetzen. Dafür hatten wir mit der gleichen Ausbildung am TDS gute Voraussetzungen geschaffen. Schon damals war für uns auch klar, dass wir für unsere Kinder – wenn es dann welche gäbe, zusammen da sein wollten. Deshalb schien uns unser Wunsch recht naheliegend und schlüssig.

Unsere erste Tochter kam in meinem letzten Studienjahr auf die Welt, die weiteren drei in zweijährigen Abständen. Nach meinem Studium wurde ich Jugendarbeiter in einem grossen Schweizer Jugendverband. Während dieser Zeit merkte ich, dass unsere Idee, gemeinsam für die Kinder da zu sein, schwieriger umzusetzen war, als ich mir das vorstellte. Viele Abend- und Wochenendtermine führten dazu, dass Conny zu Hause zu den Kindern schaute und ich weg war. Anschliessend folgte eine weitere teilprozentige Jugendarbeiterstelle und später eine Anstellung in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen.

Es war wie ein Baum, der am falschen Platz gesetzt wurde und trotz Wasser, Sonne und Dünger nicht grösser werden wollte.

In all dieser Zeit düngten wir unseren Wunsch, beruflich gemeinsam unterwegs zu sein und hegten und pflegten ihn. Irgendwie wollte es nicht gelingen. Irgendwie schien es, als wären äussere Einflüsse oder die Entscheidung anderer, der Hinderungsgrund. Nach dem Versuch, im sozialen Umfeld meinen Platz zu finden, ging ich zurück in der IT-Branche. Als Supporter für Software merkte ich, dass ich meine Begabung Mensch und Maschine zusammen zu bringen, gut einbringen konnte. Doch das ständige Unterwegssein änderte nichts an der Situation, dass ich das Gefühl hatte, zu wenig Zeit für meine Kinder und Conny zu haben.

Pensum reduzieren

Erst, als wir uns als Paar entschieden, das ich mein Pensum reduziere und an zwei Tagen zu Hause bin, dafür Conny zwei bis drei Tage arbeiten geht, merkte ich, dass sich etwas verändert. Nach einem weitern Stellenwechsel und noch kürzerem Arbeitsweg kamen wir unserem Wunsch etwas näher – jedoch waren wir nicht gemeinsam unterwegs, aber doch zusammen für das Familienbudget und die Kinder verantwortlich. Ein Funken Hoffnung stieg auf, vielleicht doch noch irgendwann unseren Wunsch in die Tat umsetzen zu können. Doch es kam anders: Die letzte Chance, die wir uns ausmalten, mussten wir beerdigen und bei uns machte sich eine Ernüchterung breit. Was, wenn es nicht klappt? Was wenn alles nur eine Phantasie war? Privat funktionierte unser neues Arbeitsmodell super. Unsere Kinder schätzen es, Mami und Papi so greifbar zu haben.

Wie soll es weitergehen?

Diese Entwicklung stiess mich in eine Sinnkriese. Ich beobachtete, wie mein Leben mich lebte – anstatt ich mein Leben. Es war Zeit, einiges zu überdenken. Mit der Unterstützung eines Coachs habe ich eine gründliche Inventur meines Lebens vorgenommen: Mein Job, mein Umgang mit meiner Frau und mit meinen Kindern. Was für eine Rolle sollen denn meine bereits verlebten 41 Jahre in der Zukunft spielen? Und plötzlich tat sich eine neue Perspektive auf. «Zusammen Wachsen»! Unsere bisherigen 14 Jahre als Paar, bemühten wir uns unsere Bedürfnisse aufeinander abzustimmen und unsere Begabungen zu verzahnen. Wir wollten ein gut eingespieltes Team werden, um bereit zu sein, für das Leben das wir uns vorstellten – Zusammen ein Dienst.

Zusammen wachsen

In dieser Zeit wurde mir klar, dass unsere Bemühung als Paar zusammenzuwachsen, uns beide viel mehr an unserem Wachstum hinderte als förderte. Gleichzeitig begann auch Conny, sich über ihre Zukunft Gedanken zu machen und wie sie ihr Potential zukünftig einsetzen kann. Als ehemalige J&S Expertin, Ausbildnerin und Coach war sie schon früh mit dem Begriff «Coaching» in Kontakt gekommen. Vor 2 Jahren startete sie mit einer Ausbildung – einfach so, aus Neugierde. Aber auch, um sich «noch das eine oder andere Werkzeug anzueignen», damit sie ihre Studenten als Praxisausbildnerin noch besser begleiten kann, sagte sie. Ich fand das eine super Idee und unterstützte sie dabei. Seither ist meine Frau gewachsen.

Mir wurde klar, dass wir uns beide viel mehr an unserem Wachstum hinderten als förderten.

Und ich? Auch ich bin gewachsen – neben Conny. Ich habe gelernt, dass ich meine Freiräume brauche, ich spontan sein darf und dass ich eine Werkstatt brauche, in der ich mich technisch- kreativ ausleben kann. Ich sagte meinem Chef, dass ich mehr als nur IT-Support kann und ich mich gerne weiterentwickeln möchte. Ehe ich mich versah, wurde ich ein Teil unseres Entwicklerteams für kundenspezifische Applikationen. So kann ich meine Begabungen als InterFACEr einsetzen. Ich bringe Menschen und Maschinen zusammen – und ich fühle mich gut dabei.

Voneinander lernen

Als Paar sind wir «zusammen gewachsen». Wir lernen voneinander und können uns aufeinander verlassen. Wir stützen uns gegenseitig und halten uns den Rücken frei. Wie die beiden Bäume rechts, durften wir in den letzten zwei Jahren als eigenständige Bäume wachsen. Nebeneinander, beide mit starken Wurzeln und einem individuellen Blätterdach. Wir sind uns inzwischen näher als damals, als wir krampfhaft versuchten «zusammenzuwachsen».

Inzwischen haben wir ein Lebens- und Arbeitsmodell gefunden, das unserer damaligen Idee, gemeinsam für die Familie da zu sein, gut umsetzt. Wir dürfen zusehen, wie unsere vier Kinder zu individuellen, starken und liebenswerten Persönlichkeiten heranwachsen.

Dankbar für die Erfahrungen

In der Rückschau möchte ich die Zeit des Zusammenwachsens nicht missen. Sie gab uns die gemeinsame Basis Entscheidungen zu treffen und machte uns zu dieser Einheit, die wir heute sind. Hätte uns aber schon jemand etwas früher gesagt, das «zusammen wachsen» die stabileren Wurzeln hervorbringt und ein individuelles Blätterdach viel mehr Schatten spendet – ja dann hätten wir wohl schon einige Jahre frührer den Weg, den wir nun gehen, gefunden.
In meiner Ausbildung habe ich im Fach Teamentwicklung mal die vier Phasen eines Teams kennengelernt «norming», «storming», «reforming», «performing». Unsere damalige Dozentin meinte, dass keine dieser Phasen ausgelassen werden dürfe und man die Phasen lieber «feiern» solle, anderenfalls «feiern» sie einem. Inzwischen habe ich diesen Satz verstanden und bin froh, mit Conny in der «Performing-Phase» angekommen zu sein. Jetzt geht’s erst richtig los und ich bin gespannt, wie sich unser «Team» weiterentwickelt.

Fragen zum weiterdenken (wobei du den Begriff «TEAM» wahlweise auch mit «Beziehung» austauschen darfst):

  • Wann hast du das letzte Mal eine gründliche Inventur deines Lebens gemacht?
  • Wo klammerst du dich an jemanden oder etwas, das dich am wachsen hindert?
  • Wie definierst du «TEAM»?
  • Wie «performant» ist dein «TEAM»?
  • Wie gut kennst du deine «TEAMmitglieder»?

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